Allein im Jahr 2024 haben sie bei 171 Einsätzen 597 Personen im Main-Taunus-Kreis betreut. Zu Beginn hat Silke Hennen einen entsprechenden Ausbildungskurs absolviert. Wie die anderen Notfallseelsorger:innen auch, hat sie sich für 48 Stunden Bereitschaftsdienst im Monat verpflichtet. Diesen plant sie vor allem nachts oder an Wochenenden ein. Die 43-jährige Diplom-Pädagogin lebt in Hofheim. Hauptberuflich ist sie Leiterin der Abteilung Studienservice bei der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt.
Im Interview berichtet Silke Hennen von ihren bisherigen Erfahrungen in der Notfallseelsorge.
Warum haben Sie sich für das Ehrenamt in der Notfallseelsorge entschieden?
„Es war mir immer wichtig, mich ehrenamtlich zu engagieren. Deshalb war ich schon in meiner Jugend beim Roten Kreuz aktiv. Letztes Jahr habe ich mich auch zur Sanitätshelferin ausbilden lassen und übernehme seitdem Sanitätsdienste bei Veranstaltungen. Außerdem habe ich viele Jahre ehrenamtlich beim Kinder- und Jugendtelefon, der ‚Nummer gegen Kummer‘, in Frankfurt gearbeitet. Aber ich wollte den Schritt wieder in die persönliche Begegnung machen. Denn es ist doch etwas anderes, wenn man bei der Seelsorge die Gestik und Mimik der Menschen und ihre Reaktionen sehen kann. Ich habe mich also umgeschaut und bin immer wieder auf die Notfallseelsorge gestoßen. Zuletzt auch durch den Bericht einer Bekannten, die in einer Notsituation Hilfe von Notfallseelsorgern bekam.“
Fühlten Sie sich durch die Grundausbildung gut für den Dienst vorbereitet?
„Die Ausbildung hat mit einer Kompaktwoche angefangen, in der wir uns sehr gut kennen lernen konnten. Weil wir an sehr berührenden Themen gearbeitet haben, sind wir da schon eng zusammengewachsen und ich habe mich sehr gut aufgehoben gefühlt. Es war viel Theorie, aber es waren auch viele praktische Übungen dabei. Aktive Notfallseelsorger:innen haben uns aus der Praxis erzählt und wir mussten in Übungen, bei denen das Vor-Ort-Szenario (zum Beispiel die Wohnung von Betroffenen) nachgestellt wurde, Situationen durchspielen. Es gehört Mut dazu, in die Rolle des Notfallseelsorge-Teams zu schlüpfen und sich dabei auszuprobieren. Aber es bringt viel, weil man Gesprächssituationen mit den Reaktionen des Gegenübers üben kann. Zur Ausbildung gehört außerdem die Hospitanz bei den anderen Partnern im Notfallsystem: Polizei, Rettungsdienst und Leitstelle. Da bin ich zum Beispiel eine Schicht bei Einsätzen der Polizei mitgefahren. Das war auch sehr wichtig, deren Arbeit kennen zu lernen. Und nach der Grundausbildung geht es mit regelmäßigen Schulungen zu verschiedenen Themen der Notfallseelsorge weiter.“
Wie viele Einsätze hatten Sie bisher und welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
„Bisher waren es fünf Einsätze. Den ersten hatte ich schon in der ersten Schicht nach der Ausbildung. Das war gut, weil das Gelernte noch frisch war und ich direkt danach evaluieren konnte, wie die Kommunikation gelaufen ist. Generell sind wir immer zu dritt in einer Schicht eingeteilt. Es gibt eine Person im Hintergrunddienst und zwei für die Einsätze. Nach der Alarmierung durch die Leitstelle holt der Hintergrunddienst für uns bei Bedarf wichtige Infos ein, damit wir vor Ort Zeit für die Betreuung haben und kümmert sich darum, dass wir nach spätestens sechs Stunden abgelöst werden. Zu den Einsätzen fahren wir immer zu zweit. Als Anfänger immer gemeinsam mit erfahrenen Kollegen:innen. Wir beide besprechen uns vorher und direkt nach dem Einsatz auch. Vor Ort bekommen wir als erstes ein Briefing von Polizei oder Rettungsdienst über die Situation. Im Durchschnitt dauern die Einsätze drei Stunden. Ausgestattet sind wir nicht nur mit Kleidung, die uns als Notfallseelsorger vor Ort erkennbar macht, sondern auch mit einem Einsatz-Rucksack. Er enthält zum Beispiel Flyer mit wichtigen Hilfestellungen, ein Buch mit Texten und Gebeten sowie praktische Dinge wie Taschenlampe, Rettungsdecke oder Taschentücher. Aber auch einen Einsatz-Teddy für Kinder. Und jeder kann sich noch etwas dazu packen. Bei mir sind das ein paar kleine Spielsachen. Nach dem Einsatz besprechen wir uns im Team noch einmal miteinander und auch der Hintergrunddienst fragt jedes Mal danach, wie es uns geht. Das ist wichtig, damit wir die Situation nicht zu sehr gedanklich mit nach Hause nehmen.“
Welche Herausforderungen sehen Sie bei diesem Ehrenamt für sich?
„Herausforderungen werden Einsätze mit jüngeren Menschen oder Kindern sein. Die hatte ich noch nicht. Oder auch Verkehrsunfälle und Personen im Gleis. Bisher hatte ich nur Einsätze im Wohnumfeld. Großen Respekt habe ich außerdem davor, wenn wir gemeinsam mit der Polizei Todesnachrichten überbringen müssen. Vor dem Moment, wenn das Leben der Angehörigen ins Wanken gerät und vor deren Emotionen, die einen dann mit großer Wucht treffen können. Einen solchen Einsatz hatte ich noch nicht. Eine andere Herausforderung ist, dass wir viel Einsamkeit in Deutschland sehen. Wenn kein Familiensystem mehr da ist – auch damit müssen wir umgehen können – bitten wir im schlimmsten Fall den Sozialdienst um Unterstützung. Auch Pfarrpersonen vor Ort können – wenn die Betroffenen das wünschen – eine Stütze sein.“
War Ihre Entscheidung für die Notfallseelsorge richtig?
„Ja, das kann ich von ganzem Herzen sagen! Die Einsätze bisher haben mich sehr berührt und das sollen sie bitte auch. Aber sie haben mich nicht belastet. Das ist wichtig. Das heißt, wir sind sehr gut ausgebildet und konnten gut begleiten vor Ort. Konnten Zuhören und in der Akutsituation da sein. Das fühlt sich auch gut an. Wir begleiten ja nur kurzfristig und erfahren nicht, wie es danach weitergeht. Wir bleiben, wenn Polizei oder Rettungskräfte gehen. Und irgendwann gehen wir auch. Aber in der Regel nicht, ohne in ein System übergeben zu haben – das sind meistens Familienangehörige. Und dann kann man auch gut gehen. Wir haben auch eine Liste mit möglichen anderen Hilfesystemen dabei. Wichtig ist, den Angehörigen zu vermitteln, dass sie jetzt erstmal eine sehr schwere Phase durchmachen. Dass Trauer normal ist und dauert. Und dass wir sie darüber informieren, wo sie weitere Hilfe bekommen können. Meine Erfahrung mit diesem neuen Ehrenamt ist, dass es mir im persönlichen Kontakt leichter fällt, für die Menschen da zu sein, als nur am Telefon. Weil ich sehe, wie sie reagieren und auch die schöne Erfahrung mache, dass ich alleine durch meine Präsenz jemandem helfen kann. Selbst wenn man gemeinsam schweigt.“
Bei den Einsätzen der Notfallseelsorge entstehen für die Betroffenen keine Kosten. Daher werden Aufwendungen, die beispielsweise für Fahrten mit dem Privatwagen, Einsatzkleidung und Ausrüstung (z.B. Einsatzrucksäcke), Supervision und Fortbildungen entstehen, überwiegend aus Spenden finanziert. Sie können diese Arbeit über folgendes Spendenkonto unterstützen: Ev. Dekanat Kronberg, IBAN: DE48 5206 0410 0004 1002 04, BIC: GENODEF1EK1, Verwendungszweck: Notfallseelsorge. Wer sich für ein Ehrenamt in der Notfallseelsorge interessiert, findet Informationen und Kontaktmöglichkeiten unter www.nfs-mtk.de.